Die Geschichte verbreitete sich damals wie ein Lauffeuer. Einer mir gut bekannten Mitreferendarin wurde die Ableistung praktischer Teile ihrer Ausbildung aufgrund ihres Kopftuches verboten. Am 7. März 2018 fand nun die Berufungsverhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München statt. Ich begleitete A.S. zu Ihrer Verhandlung und nahm als Zuschauer im Saal platz.
Anders als vielerorts berichtet, entschied das Gericht nicht darüber ob es rechtswidrig war einer Referendarin wegen ihres Kopftuches die Mitwirkung an Verhandlungen zu verbieten oder nicht. Vielmehr wies das Gericht die Klage bereits als unzulässig zurück.
In erster Instanz hatte das Verwaltungsgericht Augsburg der Klägerin recht gegeben. Die ihr durch das für die Ausbildung von Referendaren zuständige Justizministerium erteilte Auflage, verletze sie in ihren Rechten. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof als Berufungsinstanz hob nun dieses Urteil auf und wies die Klage als unzulässig zurück. Meiner Kollegin steht nun die Möglichkeit offen Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu beantragen. Die Kammer in München hatte weder die Revision zugelassen, noch eine Vorlage des Falls an den EuGH für sachdienlich erachtet.
Im vorliegenden Fall wies die Kammer die Klage zurück, da der Klägerin das notwendige Feststellungsinteresse fehle. Die Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage war notwendig geworden, da der Verwaltungsakt (Auflage), bereits nach der fünfmonatigen Zivilstation wieder aufgehoben worden war. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage dann zu bejahen, wenn eine der durch die Rechtsprechung herausgebildeten Fallgruppen einschlägig ist. Insbesondere war im vorliegenden Fall ein Rehabilitationsinteresse, positive Wirkungen für einen laufenden Amtshaftungsprozess, sowie ein tiefgreifender Grundrechtseingriff zu Lasten der Klägerin zu prüfen.
Der von meiner Kollegin angestrengte Amtshaftungsprozess war mittlerweile beendet worden, sodass diese Fallgruppe offensichtlich nicht mehr vorlag. Auch ein Rehabilitationsinteresse und einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff verneinten die Richter. Der Grundrechtseingriff sei hierbei nicht hinreichend intensiv. Abgestellt wurde primär auf die quantitative Ausdehnung des Eingriffes. Die Klägerin hätte letztlich lediglich in einer Sitzung bei ihrer Ausbildungsrichterin nicht die angedachte Funktion übernehmen dürfen. Richtigerweise fällt bei einer zweijährigen Ausbildung ein einzelner Tag nicht weiter ins Gewicht. Aus meiner Sicht wurden jedoch die qualitativen Aspekte der praktischen Ausbildung völlig unterbewertet. Die Leitung der Verhandlung während der Zivilstation sowie die Übernahme der Sitzungsvertretung (für die Staatsanwaltschaft) während der strafrechtlichen Stationen, gehören unter Referendaren unbestritten zu den Highlights der gesamten Ausbildung. Hier wird erstmals in einer realen Situation das erlernte Wissen getestet. Auch für den späteren Werdegang stellen sich hier teilweise die Weichen völlig neu. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass nicht nur künftige Staatsanwälte und Richter diese Ausbildung absolvieren müssen, sondern grundsätzlich alle Juristen auf dem Weg zum 2. Staatsexamen die gleiche Ausbildung durchlaufen. Die Kollegin hatte dementsprechend auch keine andere Wahl. Da sie jedoch nach ableisten der Zivilstation nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern beim Amtsgericht – Strafgericht untergebracht wurde, stellte sich das Problem der Sitzungsvertretung erst gar nicht. Es muss daher aus meiner Sicht angemerkt werden, dass der beklagte Freistaat Bayern den zugrunde liegenden Sachverhalt maßgeblich in der Hand hielt.
Hätte das Gericht die Begründetheit der Klage geprüft, wäre es im Kern um die Frage gegangen, ob das staatliche Neutralitätsgebot zum Zeitpunkt der Erteilung der Auflage auch für die in Ausbildung befindlichen Referendare Anwendung findet.
§ 10 GVG ermöglicht es Referendaren zu Ausbildungszwecken unter Aufsicht des Richters in Teilen die mündliche Verhandlung in Zivilsachen zu leiten. Die staatliche Neutralitätspflicht ergibt sich aus dem Demokratieprinzip in Art. 20 II S. 1 GG und kollidiert dementsprechend mit der Religionsfreiheit des Individuums aus Art. 4 GG. Richtigerweise führte die Oberlandesanwältin aus, dass dieses Grundrecht nicht schrankenlos gewährt würde. Aus meiner Sicht mangelte es zum maßgeblichen Zeitpunkt jedoch an einem Parlamentsgesetz als Grundlage für die Einschränkung zumindest in Bezug auf Rechtsreferendare. Anders ließe ist sich auch nicht erklären warum ab dem 1. April 2018 ein durch den Bayerischen Landtag verabschiedetes Richter- und Staatsanwältegesetz (BayRiStAG) gelten wird, dass in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 die Neutralitätspflicht nun in aller Deutlichkeit festschreibt. Gem. Art. 54 gilt Art. 11 auch ausdrücklich für Rechtsreferendare in Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten. Dieses Gesetz gab es zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht.
Abschließend muss erwähnt werden, dass im Falle einer undifferenzierten Neutralitätspflicht auch die Zeit der Kreuze in bayerischen Gerichtssälen gezählt sein muss. Abgesehen von den Sälen des Verwaltungsgerichts, sind beispielsweise die Säle der augsburger Strafgerichte mit Kreuzen hinter der Richterbank ausgestattet. Ob andersgläubige oder atheistische Prozessteilnehmer der Argumentation des Freistaates werden folgen können, dass „das Kreuz ja kein Urteil spricht“, muss an dieser Stelle offengelassen werden.
Quelle: Bayerischer Landtag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/18836
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