Ein Erbverzicht kann sittenwidrig sein. Das hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Urteil am 08.11.2016 (10 U 36/15) entschieden.
Es mag Gründe geben, wieso man versucht, einem gesetzlichen Erben, der auch noch pflichtteilsberechtigt wäre, mit einer Summe abzufinden und damit endgültig alle möglichen Ansprüche zu erledigen. Im Fall, der dem OLG Hamm zur Entscheidung vorgelegt wurde, hat ein praktizierender Zahnarzt dies versucht. Der Kläger ist sein Sohn. Er wuchs bei seiner Mutter im Rheinland auf, nachdem die Ehe seiner Eltern 1997 geschieden worden war. Im Sommer 2013 verließ der Kläger vorzeitig die Schule, zog zum Beklagten nach Detmold und begann dort eine Ausbildung zum Zahntechniker. Etwa zu dieser Zeit erwarb der Beklagte für ca. 100.000 Euro einen Sportwagen Nissan GTR X, für den sich auch sein Sohn begeisterte. So erlaubte der Beklagte dem Kläger, das Fahrzeug einige Male selbst zu lenken, was den Kläger faszinierte. Wenige Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers fuhr der Beklagte mit ihm zu einem Notar nach Paderborn. Dort vereinbarten die Beteiligten einen notariell beurkundeten, umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzicht des Klägers beim Tode des Beklagten. Zur Abfindung sollte der Kläger nach Vollendung des 25. Lebensjahres den Sportwagen erhalten, sofern er bis dahin eine Ausbildung zum Zahntechnikergesellen und Zahntechnikermeister mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen haben sollte. Eine weitere Gegenleistung des Beklagten sah der notarielle Vertrag nicht vor. Kurz nach der Beurkundung bereute den Kläger der Vertragsschluss. Er brach seine Ausbildung in Detmold ab und kehrte zu seiner Mutter zurück. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Feststellung, dass der notarielle Vertrag sittenwidrig und damit nichtig sei.
Die Klage hatte Erfolg. Das Landgericht habe, so der 10. Zivilsenat, rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der notarielle Vertrag mit dem umfassenden Erb- und Pflichtteilsverzicht sittenwidrig und damit nichtig sei. Den Erbverzicht und die Abfindung hätten die Parteien in dem notariellen Vertrag als Geschäfte so verbunden, dass sie miteinander „stehen und fallen“ sollten. Die Sittenwidrigkeit der Geschäfte folge aus einer Gesamtwürdigung der dem Erbverzicht zugrundeliegenden Vereinbarungen der Parteien. Bereits nach ihrem Inhalt weise die Abfindung ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Klägers auf. So werde der umfassende Erbverzicht mit sofortiger Wirkung und unbedingt vereinbart. Er solle insbesondere unabhängig vom Eintritt der Bedingungen für die Gegenleistung gelten. Demgegenüber stehe die Gegenleistung unter mehreren gemeinsam zu erfüllenden Bedingungen mit der Folge, dass der Beklagte den Erbverzicht unentgeltlich erlange, wenn auch nur eine der Bedingungen für die Gegenleistung nicht eintrete. Bei der Bewertung der Gegenleistung sei zudem zu berücksichtigen, dass der Kläger das Fahrzeug erst im Alter von 25 Jahren erhalten solle und das Fahrzeug bis dahin aufgrund seines Alters erheblich an Wert verloren haben werde. Die Vorgabe der erfolgreich zu absolvierenden Ausbildung schränke den Kläger außerdem in zu missbilligender Weise in der Wahl seines
beruflichen Werdegangs ein. Eine berufliche Umorientierung lasse die Vereinbarung nicht zu. Das habe eine knebelnde Wirkung, die unzulässig in die Persönlichkeitsrechte des noch jugendlichen Klägers eingreife, der seine Ausbildung gerade erst begonnen habe. Verschärft werde der Druck noch dadurch, dass die Vertragsbedingungen zur Ausbildung nur bei Erreichen der Bestnote bei den Abschlussprüfungen erfüllt sein sollten. Mit der Vertragsgestaltung, die auf einseitigen Vorgaben des Beklagten beruhe, habe dieser seine Testierfreiheit mit einer verhältnismäßig geringen, ggfls. sogar ohne Abfindung erweitern wollen. Seine Argumentation, er habe seinen Sohn zu einer zügigen und erfolgsorientierten Ausbildung motivieren wollen, sei vorgeschoben. Bei einer solchen Motivation hätte es genügt, dem Kläger das Fahrzeug beim Erreichen der Ausbildungsziele als Belohnung zu versprechen und den Erbverzicht ebenfalls an den Eintritt dieser Bedingung zu knüpfen. Die Umstände des Vertragsabschlusses zeigten zudem, dass der geschäftsgewandte Beklagte die jugendliche Unerfahrenheit seines Sohnes zu seinem Vorteil ausgenutzt habe. So habe er sich die Begeisterung des Klägers für den Sportwagen zu Nutze gemacht und durch die Anschaffung des Fahrzeugs im Vorfeld des Vertrages noch gefördert. Der Beklagte habe zudem bewusst den Eintritt der Volljährigkeit seines Sohne abgewartet, wohlwissend, dass die Mutter dem Geschäft zuvor nicht zugestimmt hätte und es auch vom Familiengericht nicht genehmigt worden wäre. Mit der Wahl des Beurkundungstermins habe er dann den Eindruck erweckt, es handele sich um ein Geburtstagsgeschenk für den Kläger. Das sei geeignet gewesen, dem Kläger eine Ablehnung des Angebotes emotional zu erschweren. In die Vorbereitung des Beurkundungstermins sei der Kläger auch nicht einbezogen worden, einen Vertragsentwurf habe er zuvor nicht erhalten.
Quelle: OLG Hamm, Pressemitteilung v. 10.01.2017
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