Das Oberlandesgericht München hat kürzlich im Rahmen einer Nachlassbeschwerde entschieden, ob eine in einem Brief enthaltene Vollmacht auch als Testament gewertet werden kann.
Die ledige, vermögende Erblasserin war im Jahr 2002 im Alter von 77 Jahren verstorben. Das Nachlassgericht erteilte daraufhin am 25.1.2006 einen Erbschein aufgrund gesetzlicher Erbfolge, der die Beteiligten zu 1 – 3 als Miterben ausgewiesen hat. Im Jahr 2015 legte der Beteiligte zu 4 ein Schreiben der Erblasserin (Brief) vom 20.10.1975 vor, das er nach seinem Vorbringen erst jetzt bei Durchsicht seiner Unterlagen aufgefunden habe.
Das Schreiben lautet wie folgt:
(Ort), 20.10.75
An das (= Beteiligter zur 4)!
Habe mich entschlossen nach meinem Tode mein Vermögen (Bar u.. Wertpapiere; C.bank; A.) dem (= Beteiligter zu 4) zur Verfügung zu stellen. Sollte mir unerwartet etwas zustossen, dann halten Sie dieses Schreiben als Vollmacht!
(Ort), 20.10.75 (Unterschrift)
Das Nachlassgericht ordnete hierauf die Einziehung des Erbscheins vom 25.1.2006 an, da das Schreiben vom 20.10.1975 eine Erbeinsetzung enthalte. Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beteiligte zu 2, die den ihr erteilten Erbschein bereits dem Nachlassgericht übersandt hat, sowie der Beteiligte zu 3.
Die Beschwerden hatten in der Sache Erfolg.
Das Oberlandesgericht urteilte, dass die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins nicht vorliegen.
Grundsätzlich könne zwar in einem vom Erblasser eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Brief der letzte Wille des Erblassers enthalten sein. Eine solche schriftlich niedergelegte Erklärung des Erblassers könne allerdings, auch wenn sie den formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB genügt, nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernstlichen Testierwillen des Erblassers beruht. Daher muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden. Ob ein solcher ernstlicher Testierwille vorgelegen hat, ist im Wege der Auslegung (§ 133 BGB) unter Berücksichtigung aller erheblichen, auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände und der allgemeinen Lebenserfahrung zu beurteilen (BayObLG FamRZ 1999, 534, 535 m. w. N.). An den Nachweis des Testierwillens sind bei einem Brieftestament strenge Anforderungen zu stellen (BayObLGZ 2000, 274, 277). Die Vorschrift des § 2084 BGB findet bei verbleibenden Zweifeln keine Anwendung (vgl. BayObLG FamRZ 1990, 672; 2001, 944, 945).
Zwar stelle der Umstand, dass die Erblasserin das Schreiben nicht als Testament bzw. als „letzter Wille“ bezeichnet hat, stellt kein tragfähiges Indiz gegen die Errichtung eines Testaments dar. Für die Auslegung des Schriftstücks als letztwillige Verfügung ist nämlich das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Schriftstücks als „Testament“, „Mein letzter Wille“ oder eines ähnlichen Ausdrucks unschädlich. Entscheidend ist, dass sich aus dem Schriftstück der Wille der Erblasserin ergibt, die Folgen ihres Todes ernsthaft und umfassend zu regeln (BayObLG FamRZ 2005, 656, 657).
Vor dem Hintergrund, dass die Erblasserin in ihrem Schreiben zum Ausdruck bringt, dass der Beteiligte zu 4 nach ihrem Tod „ihr Vermögen“ erhalten soll (Satz 1), und diesem für den Fall, dass ihr „unerwartet etwas zustoßen soll“, das Schreiben als „Vollmacht“ dienen soll (Satz 2), hat das Nachlassgericht zu Recht die Errichtung einer letztwilligen Verfügung der Erblasserin in Erwägung gezogen. Denn darin liegt eine Anordnung der Erblasserin, die zeitlich unmittelbar auf ihren Tod bezogen ist. Hierin unterscheidet sich die hier inmitten stehende Formulierung der Vollmacht zu der, die der Entscheidung des BayObLG FamRZ FamRZ 2000, 1539, 1540 zugrunde lag („Bankvollmacht“). Dort fand sich kein Hinweis auf den Tod des Erblassers oder darauf, dass die Rechtsmacht gerade auch für diesen Fall erteilt werden sollte.
Allerdings gelang es nicht, das OLG davon zu überzeugen, dass die Erblasserin in dem Brief selbst ihre Rechtsnachfolge nach dem Tod geregelt haben wollte und darin den Beteiligten zu 4 als ihren Erben einsetzen wollte. An den Nachweis eines entsprechenden Willens sei ein strenger Maßstab anzulegen.
Das OLG verwies insbesondere auf die Möglichkeit, dass die Formulierung in dem Brief auch darauf hindeuten könne, dass die Erblasserin bereits anderweitig und außerhalb des Briefes eine Entscheidung über ihre Erbfolge getroffen hatte. In diesem Zusammenhang war erheblich, dass die Erblasserin im Jahr 1975 ein Testament in die amtliche Verwahrung gegeben und dieses Testament im Jahr 1981 von dort wieder zurückgenommen hatte.
Ebenfalls wurde die in dem Brief angesprochene „Vollmachtserteilung“ so ausgelegt , dass mit der Erteilung einer Vollmacht gerade keine unmittelbare Übertragung von Vermögen kraft Erbfolge verbunden sei.
Im Übrigen betreffe die in dem Brief erwähnte Vollmacht auch mit dem Barvermögen und den Wertpapieren nur einen Teil des Vermögens (Wert im Zeitpunkt ihres Todes: 501.022.32 €) und beantworte nicht die Frage, was im Erbfall mit dem restlichen Vermögen geschehen soll (Wert im Zeitpunkt ihres Todes: ca. 127.153,13 €).
Zwingende Anhaltspunkte dafür, dass die Erblasserin die Erteilung der Vollmacht entgegen dem Wortsinn als Erbeinsetzung, also als unmittelbare Anordnung einer Rechtsnachfolge in wirtschaftlicher Hinsicht, verstanden hat, lagen nach Ansicht des OLG nicht vor. Die persönlichen Verhältnisse der Erblasserin lassen eher den gegenteiligen Schluss zu: Die Erblasserin war von Beruf Damenschneidermeisterin, die in geschäftlichen Dinge nicht unerfahren war, worauf die Höhe und die Zusammensetzung des Nachlasses (Wertpapiere in Höhe von ca. 330.000 €) sowie die zweimalige Übergabe ihres errichteten Testaments in die besondere amtlichen Verwahrung hindeuten.
Im Ergebnis blieben für das OLG „gewichtige Zweifel“, die gegen die Annahme sprachen, dass die Erblasserin mit dem Brief ein Testament verfasst hatte. Das Bestehen solcher Zweifel bewirkt, dass eine Erklärung nicht als gültiges Testament angesehen werden kann.
Die gesetzlichen Erben mussten Jahre nach dem Erbfall den Nachlass demnach nicht an den Verein herausgeben.
Quelle: OLG München – Beschluss vom 31.03.2016 – 31 Wx 413/15, Veröffentlichung Bayerische Staatskanzlei
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